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Jahresausblick im Gastbeitrag

Zurück in die Zukunft

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Datum

05. Januar 2021

Christian Böllhoff in der Handelsblatt-Ausgabe vom 5. Januar 2021

Was für ein Jahr. 2020 erinnert an den französischen Filmklassiker »Lohn der Angst«. Zwei Teams transportieren Nitroglycerin durch den Dschungel. Man fährt auf Sicht. Jedes Schlagloch kann das letzte sein. Ähnlich wie einige Szenen in dem nervenaufreibenden Schwarz-Weiß-Streifen aus den 50ern zeigt sich auch die Pandemie – wobei das Happy End noch nicht ausgemacht ist. Doch 2020 gab auch Grund für Zuversicht: Donald Trump ist abgewählt, der Covid-Impfstoff auf der Zielgeraden.

Allerdings, ob die Zukunft so schnell besser wird als die derzeitige Schotterpiste, auf der wir auf Sicht fahren? Das hängt auch davon ab, ob wir den Unterschied zwischen Rückspiegel und Frontscheibe begreifen. Beides wird in Krisenzeiten gerne vermischt. Die Impfstoffe und der Wahlsieg Bidens – das sind gute Nachrichten, zweifellos. Aber es sind gute Nachrichten des Jahres 2020. Als Orientierung für zukünftige Prioritäten taugen sie nur bedingt. Richten wir daher den Blick auf zwei Themen, die unsere Aufmerksamkeit dringend erfordern.

1. Es klingt gewaltig und ist es auch: Die Schöpfung ist in Gefahr, und damit die Grundlage für unser Dasein und unseren Wohlstand – und zwar vorrangig durch unser bisheriges Wirtschaften. Dies zeigt sich besonders in der Klimakrise, aber auch bei Artenvielfalt und Meeresverschmutzung. Im Prinzip herrscht darüber weltweit Einigkeit, aber Strategien und Maßnahmen sind umstritten. Das ist auch nicht anders zu erwarten: Zwar gewönnen wir alle, aber wichtige Stakeholder haben viel zu verlieren.

Mich treibt die Frage nach der richtigen Transformation um. Also Maßnahmen, Regeln und Anreizstrukturen, mit denen wir z. B. Klimaneutralität im angemessenen Zeitrahmen erreichen und dabei auf die Akzeptanz von Bevölkerung und Unternehmen bauen können. Denn natürlich sind Branchen und Arbeitsplätze unterschiedlichen Risiken und Chancen ausgesetzt. Wie bringen wir natürliche Lebensgrundlagen und ökonomische Existenzgrundlagen zusammen?

Die Politik kümmert sich bereits (Stichwort Green Deal), und auch die Wissenschaft bietet Konzepte (Stichwort Klimaneutrales Deutschland). Die Kunst wird sein, von der Makroperspektive auf die Straße zu kommen. Meine Wahrnehmung ist, dass die kurzfristigen Belastungen den Blick auf die langfristigen Notwendigkeiten und auch die Chancen noch verdecken.

2. Der richtige Kandidat in den USA hat gewonnen, doch die Welt wird sich nicht zurückdrehen zur alten, in Deutschland so geliebten Nachkriegsordnung. Die These vom „Ende der Geschichte“ nach dem Fall des Eisernen Vorhangs bleibt falsch. Zumindest emotional fällt es vielen schwer, die neue Realität zu akzeptieren, eben weil die gute alte Welt für Westeuropa so fruchtbar war. Offensichtlich gilt dies sogar für Teile von Politik und Wirtschaft. Die Bekenntnisse für ein starkes Europa sind zwar da, die heimliche Hoffnung, doch nicht erwachsen werden zu müssen, aber auch.

Dies ist kein rein sicherheitspolitisches Thema. Auch als Wirtschaftswissenschaftler und Unternehmer sollten wir uns auf die Möglichkeit eines ökonomischen Kalten Krieges vorbereiten. Sicher, die Gefahr eines erratischen Handelskonflikts ist seit der US-Wahl geringer. Dennoch ist klar, dass die USA ihre Interessen viel deutlicher vertreten werden als früher. Da hilft auch nicht die häufig beschworene Wertegemeinschaft. Staaten und Volkswirtschaften führen keine Liebesbeziehungen, sondern sind bestenfalls Partner, die ihre Positionen verhandeln, ggf. auch hart. Soweit, so gut.

Was mich dabei umtreibt, sind zwei Aspekte einer möglichen Welt-(Un)-Ordnung: Erstens die Rolle und der Machtanspruch Chinas. Zweitens müssen wir feststellen, dass sich nationalistisch-populistisch agierende Regierungen in vielen Staaten etablieren. Die Rolle Chinas ist gesetzt, nur weiß die westliche Welt noch nicht, wie sie damit umgehen soll. Zumindest gibt es keine gemeinsame Strategie. Europa und die USA haben unterschiedliche Positionen und Interessen. Dies wird eine Herausforderung auf beiden Seiten, zumal die EU erst einmal Einigkeit bräuchte. Der Nationalismus hat das Potenzial, die Globalisierung und den Multilateralismus nachhaltig zu schädigen. Es wird schwer, vernünftige Vereinbarungen zu erzielen, wenn Interessen vorwiegend aus einem nationalen Blickwinkel vertreten werden, an kurzfristigen Zielen orientiert, mit emotionalen Argumenten. Zumal zeitgleich bewährte Verhandlungsarenen, wie die WTO, an Bedeutung verlieren und stattdessen bilaterale Formate notwendig werden.

Der Klimawandel ist auf Basis umfangreicher wissenschaftlicher Evidenz als Fakt gesetzt, die Diagnose bei der globalen Entwicklung ist hingegen teilweise noch offen. Das bedeutet, dass es beim Thema Klimawandel nun um die effektivsten und effizientesten Strategien auf allen Ebenen zu gehen hat, während das globale Spielfeld wieder grundsätzlich neu gestaltet werden muss.

Auch wenn die Pandemie uns noch weit ins Jahr 2021 Aufmerksamkeit und Kraft abverlangen wird, dürfen wir die langfristig großen Zukunftsthemen nicht vernachlässigen. In diesem Sinne gilt, im übertragenen Sinne eines anderen Filmklassikers: »Zurück in die Zukunft«!

Direkt zum Artikel im Handelsblatt (€)