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Ist die gesetzliche
Krankenversicherung
generationengerecht?

Kategorie

Expertise

Datum

14. Juni 2022

Sozialsysteme sind finanziell nachhaltig, wenn sie ohne Anpassungen auf Dauer weitergeführt können. Stichwort: Generationengerechtigkeit. Umlagefinanzierte Systeme wie die deutsche gesetzliche Krankenversicherung (GKV) beinhalten jedoch ein "natürliches" Maß an sogenannter intergenerativer Umverteilung – also von jüngeren Nettozahlerinnen und -zahlern zu älteren Nettoempfängerinnen und -empfängern – und sind somit potenziell nicht nachhaltig.

Prognos-Experte Stefan Moog hat, gemeinsam mit Stefan Fetzer von der Hochschule Aalen, untersucht, mit welchen Methoden die Nachhaltigkeit von Systemen wie der GKV in Deutschland berechnet werden kann. Denn um die Ursachen mangelnder Nachhaltigkeit zu finden – und idealerweise auch zu beheben – bedarf es solider und verlässlicher Methoden.

Stefan, mit welcher Ausgangslage befasst sich euer Beitrag?

Finanzielle Nachhaltigkeit von Sozialsystemen bedeutet kurz gesagt, dass wir ohne Anpassungen auf Dauer „weiter machen können“ wie bisher. Leider ist dies oft nicht der Fall. Der Grund: Der Gedanke der (finanziellen) Nachhaltigkeit spielt in der Politik nicht selten nur eine untergeordnete Rolle – nicht nur beim Klimawandel. Die Folge ist, dass den Bürgerinnen und Bürgern mehr Leistungen versprochen werden bzw. worden sind, als dauerhaft finanziert werden können. Um diese Diskrepanz zu beziffern, existieren verschiedene Ansätze und Methoden zur Messung der fiskalischen Nachhaltigkeit. Ähnlich wie Szenarien zum Klimawandel ermöglichen diese eine Abschätzung der zukünftigen Folgen unserer heutigen Politik. Auch erlauben diese Ansätze eine Beurteilung der Generationengerechtigkeit der heutigen Politik. Denn letztlich muss die Rechnung bezahlt werden.

Wie seid ihr vorgegangen?

Der Beitrag ist im Kern ein Vergleich verschiedener Methoden zur Messung der finanziellen Nachhaltigkeit. Als Fallstudie betrachten wir die gesetzliche Krankenversicherung (GKV) in Deutschland. Mein Co-Autor und ich haben bereits im Jahr 2002 die erste Generationenbilanz für die GKV erstellt. Die Methode der Generationenbilanzierung (Generational Accounting) ist daher auch ein Ansatz, der im Beitrag berücksichtigt wird. Daneben betrachten wir insbesondere einen „neueren“ Ansatz zur Messung fiskalischer Nachhaltigkeit. Dieser Ansatz wurde interessanterweise in der Praxis in Schweden entwickelt und umgesetzt, hat seit einigen Jahren aber auch Einzug in die wissenschaftliche Literatur gefunden. Neben den unterschiedlichen Methoden untersucht der Beitrag die Abhängigkeit der Ergebnisse von den zugrunde liegenden Annahmen. Hierzu zählen insbesondere die Annahmen zur Bevölkerungsentwicklung.

Was sind eure Kernergebnisse?

Der Beitrag bestätigt zunächst, dass die GKV in Deutschland nicht nachhaltig finanziert ist. Die Ergebnisse zeigen zudem, dass das Nachhaltigkeitsproblem zu rund drei Fünfteln eine Folge der steigenden Lebenserwartung ist. Der Rest ist dagegen – vereinfacht gesprochen – der reinen Umlagefinanzierung unserer sozialen Sicherungssysteme geschuldet. Zumindest dieser Teil des Nachhaltigkeitsproblems wäre vermeidbar gewesen, wenn sich die Finanzierung der sozialen Sicherungssysteme nicht allein an der Gegenwart orientieren würde. Wir wissen bereits seit den 1980er Jahren, dass unsere sozialen Sicherungssysteme ein Finanzierungsproblem bekommen, wenn die geburtenstarken Jahrgänge ab 2030 in den Ruhestand gehen. Hierfür hätten wir vorsorgen und von anderen Ländern wie zum Beispiel Schweden oder den Vereinigten Staaten lernen können.

Eine weitere Erkenntnis: die betrachteten Methoden führen zu ähnlichen Ergebnissen. Dies spricht zunächst für die Robustheit der Ergebnisse. In der Praxis bedeutet das auch, dass es einen gewissen Spielraum bei der Methodenwahl gibt. Im Detail gibt es allerdings doch Unterschiede. So zeigt der Beitrag auch, dass die Ergebnisse bei der „traditionellen“ Methode der Generationenbilanzierung sehr viel sensitiver auf Variationen der Annahmen reagieren. In der Praxis spricht dies daher für die Verwendung des „neueren“, schwedischen Ansatzes.

Der Artikel von Stefan Moog und Stefan Fetzer (Hochschule Aalen) ist zuerst im Mai 2021 in der Zeitschrift sustainability erschienen.

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Dr. Stefan Moog

Senior Experte

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