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Wer verliert, wenn China gewinnt?

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Datum

21. Juli 2020

Gastbeitrag von Prognos Chief Economist Dr. Michael Böhmer im Handelsblatt vom 16. Juli 2020

Eigentlich sollte im September im Rahmen der deutschen EU-Ratspräsidentschaft der EU-China Gipfel stattfinden. Die Covid-19-Pandemie hat auch dieser Veranstaltung einen Strich durch die Rechnung gemacht. Beim Gipfel in Leipzig sollte es nach Ansicht von Bundeskanzlerin Angela Merkel um eine einheitlichere Politik zwischen der EU und China gehen.

Ihre Sorge ist, dass die EU und damit Deutschland durch die ehrgeizige industriepolitische Strategie „Made in China 2025“ (MIC 2025) noch weiter ins Hintertreffen gerarten. Die Coronakrise hat nun das Thema in der öffentlichen Diskussion aus dem Scheinwerferlicht gerückt. Es bleibt aber für die Zukunft unserer Industrie unverändert und hoch relevant.

Mit MIC 2025 will die chinesische Regierung die Volksrepublik zu einer der weltweit führenden High-Tech-Nationen machen. Ähnlich zum wirtschaftspolitischen Vorgehen früherer Reformperioden fokussiert MIC 2025 auf zehn Schlüsseltechnologien wie etwa Fahrzeuge mit alternativer Antriebstechnik, Energiesysteme oder Biomedizin und Medizingeräte, in denen China danach strebt, sich stärker in den technologieintensiven Stufen globaler Produktionsketten zu etablieren und die Abhängigkeit von Technologieimporten drastisch zu reduzieren.

Mit Gütern und Dienstleistungen aus diesen Technologiefeldern will China bis 2025 einen deutlich größeren Teil der inländischen und ausländischen Märkte bedienen. Die Industriestrategie zielt auf den Aufstieg chinesischer Firmen in die Top 10 der weltweit größten Anbieter, auf einen Anstieg technologiespezifischer Patente oder auf die verstärkte Zulassung chinesischer Produkte im Ausland.

Um das zu erreichen, setzt die politische Führung auf chinesische Firmenbeteiligungen im Ausland, auf umfangreiche staatliche Forschungsförderung, auf beschränkten Marktzugang für ausländische Unternehmen und auf eine ausgedehnte Subventionierung chinesischer Unternehmen. In Deutschland diskutieren Regierung und Industrien MIC 2025 bislang meist aus dieser wettbewerbspolitischen Perspektive.

Das ist nicht falsch, doch es greift viel zu kurz. Es unterschätzt die Wucht, die MIC 2025 auf die internationalen Produktionsketten zu entfalten imstande ist. Erreicht China seine Ziele, werden alle Industrieländer massive Veränderungen der globalen Produktionsketten erleben, die zu tiefen Strukturbrüchen in den einzelnen Volkswirtschaften führen können.

Angst vor Verdrängung deutscher Firmen

Ein Beispiel: Wenn China nur seine Ziele in den Bereichen Robotics und digital gesteuerter Werkzeugmaschinen – also zwei von zehn Zielen – erreichen würde, müsste der deutsche Maschinenbau mit Verdrängungseffekten in einer Größenordnung von zwei Prozent seiner Wertschöpfung rechnen.

Das zeigt sich, wenn man Modellrechnungen aufmacht unter systematischer Berücksichtigung internationaler Wertschöpfungsverflechtungen. Weitet man die Analyse auf alle zehn Einzelziele und auf weitere wichtige Industriebranchen aus, dürften die Effekte eine Größenordnung erreichen, die tatsächlich substanzielle Strukturverschiebungen in der deutschen Wirtschaft auslösen kann.

Uns sollte bewusst sein, dass diese Ziele nicht allein durch Marktwachstum erreicht werden können. Vielmehr wird es zu erheblichen Verdrängungen anderer – eben auch deutscher – Hersteller kommen. Das muss nicht direkt auf Ebene der jeweiligen Produkte geschehen, sondern kann sich mittelbar über die komplexen, stark internationalisierten Wertschöpfungsverflechtungen niederschlagen.

Dringend nötig: Eine EU-China-Strategie

Für den richtigen Umgang mit China sollten sich die Entscheidungsträger aus Politik, Wirtschaft und Gesellschaft sehr bewusst sein über die ökonomischen Konsequenzen einer erfolgreichen MIC-2025-Strategie. Fundierte und quantifizierte Kenntnis darüber, wie MIC 2025 auf die Wertschöpfungsstrukturen hierzulande wirken kann, ist essenziell für die Weiterentwicklung gesamtwirtschaftlicher, industriepolitischer oder branchenspezifischer Strategien für Deutschland – und damit für einen auch künftig erfolgreichen Wirtschaftsstandort Deutschland.

Zum Artikel im Handelsblatt (€)

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