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Simulation / Szenarienrechnung

Was eine heftige Omikron-Welle in China für die deutsche Konjunktur bedeuten könnte

Kategorie

Expertise

Datum

28. Januar 2022

China ist bislang besser durch die Corona-Pandemie gekommen als alle übrigen großen Volkswirtschaften. In der Folge fielen zum einen die wirtschaftlichen Einbußen in China geringer aus. Zum anderen profitierte auch der Rest der Weltwirtschaft von der größeren Dynamik der chinesischen Volkswirtschaft: Die Rolle Chinas als größter und zuverlässiger Lieferant der Weltwirtschaft ist heute noch bedeutender als im Zeitraum vor der Pandemie.

In China trifft Omikron auf eine kaum immunisierte Bevölkerung

Mittlerweile breitet sich die Omikron-Variante des Coronavirus auch in China aus. Es erscheint fraglich, ob die bisherigen – und bisher erfolgreichen – Anti-Corona-Maßnahmen Chinas auch gegen Omikron dauerhaft Erfolg zeigen. Zum einen gilt die Omikron-Variante als deutlich ansteckender als vorherige Varianten. Zum anderen bieten die in China verwendeten Impfstoffe offenbar keinen vergleichbar wirksamen Schutz gegen Omikron. Im Ergebnis trifft eine hochansteckende Virusvariante auf eine Bevölkerung, die weder durch wirksame Impfungen noch durch zahlreiche überstandene Infektionen über einen Immunschutz gegen Omikron verfügt.

Das könnte die chinesische Politik vor ein Dilemma stellen: Entweder wird die bisherige Zero-Covid-Strategie in Umfang und Härte nochmals ausgeweitet oder die Infektions- und Krankheitsfälle steigen massiv an.

Das deutsche Wachstum hängt (auch) an China

In beiden Fällen ergeben sich gravierende Risiken für die wirtschaftliche Entwicklung Chinas in diesem Jahr. Aufgrund der sehr großen weltwirtschaftlichen Bedeutung des Landes würden andere Länder – darunter nicht zuletzt Deutschland – ebenfalls negativ betroffen sein. Gerade für Deutschland und seine Unternehmen ist die wirtschaftliche Bedeutung der Volksrepublik mittlerweile enorm. Das gilt zum einen für China als Absatzmarkt. Im Jahr 2020 ging rund 8 Prozent der deutschen Ausfuhr in das Reich der Mitte. Und das gilt noch mehr für China als Beschaffungsmarkt. Allein 9 Prozent der Vorleistungsgüter der deutschen Industrie kommen aus China.

Wenn-Dann-Szenario simuliert negative Folgen für deutsche Wirtschaft

Welche wirtschaftlichen Auswirkungen die Omikron-Variante in China haben wird, lässt sich gegenwärtig nicht seriös abschätzen. Deshalb stellt unsere Simulationsrechnung ausdrücklich keine Prognose dar. Vielmehr zeigt sie im Sinne eines Wenn-Dann-Szenarios, welche Folgen ein Wirtschaftseinbruch und eine weitere Belastung der deutschen Industrie durch fortdauernde Lieferengpässe für die konjunkturelle Erholung in Deutschland in diesem Jahr hätten.

Unser Omikron-Szenario umfasst folgende Eingangsgrößen:

  • Würde Omikron im Jahr 2022 in gleichem Maße die Wirtschaftsleistung in China belasten wie 2020, würde das chinesische Wachstum im Jahr 2022 lediglich 2,3 Prozent betragen – unsere aktuelle Prognose geht derzeit von einem Wachstum in Höhe von 6,0 Prozent aus. In der Folge würde die chinesische Importnachfrage u. a. nach Waren made in Germany spürbar geringer ausfallen.
     
  • Die internationalen Lieferketten, in denen China die zentrale Rolle spielt, sind aufgrund von Produktionsausfällen in China in einem Maße gestört, dass die deutsche Industrie ihre Produktion im Jahr 2022 nicht ausweiten kann. Deutschland ist etwa direkt besonders stark auf Komponenten aus dem Bereich DV-Geräte, Elektronik, Optik angewiesen. Die Auswirkungen von Produktionsausfällen in China und den damit verbundenen Lieferengpässen beschränken sich jedoch nicht auf die direkten Importe aus China. Vielmehr sind auch Zulieferfirmen aus anderen Ländern auf chinesische Komponenten angewiesen – und könnten so ebenfalls als Zulieferer für die deutsche Industrie ausfallen.

Kräftige Erholung der deutschen Wirtschaft bliebe in diesem Szenario aus

Nimmt man diese beiden wesentlichen Impulse zusammen, dann zeigen unsere Simulationsrechnungen, dass die bislang erwartete kräftige Erholung der deutschen Wirtschaft 2022 ausbleiben würde. In unserer Prognose von Anfang Januar 2022 erwarten wir für dieses Jahr ein BIP-Wachstum von 4,0 Prozent. In dem angenommenen Szenario würde sich die Zuwachsrate annähernd halbieren und sich auf nur 2,1 Prozent belaufen. In absoluten Werten würde die deutsche Wirtschaftsleistung im Jahr 2022 damit um 61 Mrd. Euro geringer ausfallen als gemäß unserer aktuellen Prognose.

Die Simulationsrechnungen werden mit unserem Weltwirtschaftsmodell VIEW durchgeführt. Das Modell deckt in regionaler Hinsicht mehr als 90 Prozent der aktuellen globalen Wirtschaftsleistung ab, die Interaktionen und Rückkopplungen zwischen einzelnen Ländern werden in VIEW explizit erfasst. Die Corona-bedingte Schwächung der Inlandsnachfrage in China führt beispielsweise zu einer Dämpfung der Exporte aller anderen im Modell erfassten Länder, was die Auslastung ihrer exportorientierten Wirtschaftsbereiche drückt und damit auch deren Investitionsausgaben, was wiederum eine negative Rückkopplung für die Exporte Chinas auslöst usw.

Lieferengpässe würden deutsche Industrieproduktion stark belasten

Die Corona-bedingte Schließung von Häfen und der Ausfall von Beschäftigten in China dämpfen angebotsseitig die Exporte des Landes und führen in anderen Ländern zu Lieferengpässen und Materialmangel. Eine direkte Ableitung der gesamtwirtschaftlichen oder auch branchenspezifischen Effekte ist nicht möglich, da sich die Effekte stark von Produkt zu Produkt unterscheiden. Wenn eine Substitution der fehlenden chinesischen Importe möglich ist, verschieben sich lediglich die Handelsverflechtungen und Vorleistungsstrukturen, gegebenenfalls mit der Konsequenz höherer Einkaufs- und Erzeugerpreise. Im anderen Extrem kann die Produktion bzw. der Verkauf des fast fertigen Produktes nicht erfolgen, weil essenzielle Teile fehlen. Die Annahme, dass die Industrieproduktion in Deutschland 2022 als Folge der Lieferengpässe stagniert, ist eine explizite Setzung, das relevante Ergebnis unserer Simulationsrechnungen sind die hieraus folgenden Konsequenzen für die konjunkturelle Entwicklung in Deutschland.

Auswirkung einer Omikron-Welle in China auf die deutsche Wirtschaft

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Das Szenario ist keine Prognose. Tritt es ein, können die Folgen über 2022 hinauswirken.

Sollte sich das beschriebene Szenario tatsächlich einstellen und sich in der Folge der Aufschwung noch einmal länger hinauszögern, würde sich ein weiteres Risiko auch für die langfristige Entwicklung in Deutschland ergeben. Etwa ab 2025 wird sich die demografische Alterung in Deutschland deutlich beschleunigen – mit weitreichenden Folgen von der Fachkräftesicherung bis zum Rentensystem. In diesen Trendbruch, der für sich genommen bereits größte Herausforderungen mit sich bringt, zum Zeitpunkt einer wirtschaftlichen Schwächephase einzutreten, würde eine dauerhafte Erholung auf einen soliden Wachstumspfad deutlich erschweren.

Über das Szenario berichtete zuerst die Süddeutsche Zeitung am 28.1.2022 (€)

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Dr. Michael Böhmer

Chefvolkswirt, Leitung Corporate Services

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