Wie hoch ist die Bürokratiebelastung für mittelständische Unternehmen durch das EU-Recht? Diese Frage beantworten Prognos und das Centrum für europäische Politik (cep) für die Stiftung Familienunternehmen.
Dafür schauen wir uns vier Rechtsbereiche an:
- die A1-Bescheinigung zur kurzzeitigen Arbeit im EU-Ausland
- die Entsenderichtlinie zu Dienstleistungen im europäischen Binnenmarkt
- das Transparenzregister
- und Teile der Datenschutzgrundverordnung (DSGVO)
Band 1 unserer Recherche zeigt nun erste Ergebnisse auf. Bis März 2023 folgen die weiteren drei Untersuchungen.
Richtlinien und Gesetze: Wie viel Aufwand steckt dahinter?
Um die vier Bereiche A1-Bescheinigung, Entsenderichtlinie, Transparenzregister und DSGVO und den mit ihnen verbundenen bürokratischen Aufwand einschätzen zu können, erstellt das cep zuerst jeweils ein Rechtsgutachten. Darauf folgt eine Bewertung durch Prognos und seinen Partner Centre for Industrial Studies (CSIL) aus Mailand, wie viel Zeitaufwand und Kosten für Unternehmen durch die Regelungen entstehen. Dabei konzentrieren wir uns auf Deutschland, Österreich, Italien und Frankreich. Was wir dabei nicht betrachten: inwieweit die Regelungen an sich zielführend sind. Vielmehr schätzen wir ein, wo die Bürokratie im Hinblick auf die vier Bereiche effizienter oder digitaler werden kann. Die empirische Bewertung stützt sich auf Interviews, die wir mit Unternehmen und Expertinnen und Experten in den vier Ländern durchführen.
Ergebnisse und Anpassungsvorschläge
- Teil 1: A1-Bescheinigung
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Das EU-Recht sieht vor, dass eine Person nur dem Sozialversicherungsrecht eines einzigen Mitgliedstaats unterliegt – das ist normalerweise der Staat, in dem die Person arbeitet. Wenn der Arbeitgeber nun entscheidet, diese Person für maximal zwei Jahre in ein anderes EU-Land zu versetzen, gilt jedoch das Recht des Staats, aus dem der Arbeitnehmer oder die Arbeitnehmerin stammt. In diesem Fall stellt der Sozialversicherungsträger des Herkunftslands auf Verlangen einen Nachweis über die aktuelle Geltung aus: die A1-Bescheinigung.
Welche Angaben in der A1-Bescheinigung gemacht werden müssen, gibt das EU-Recht nicht vor – die Vorgaben variieren von Land zu Land und sind teils umfangreich. Auch wenn alle vier untersuchten Länder Online-Lösungen zur Beantragung von A1-Bescheinigungen anbieten, so unterscheidet sich der zeitliche Aufwand deutlich: von über 30 Minuten in Italien bis knapp unter 20 Minuten in Österreich. Auch die entstehenden Kosten schwanken dementsprechend. Die Erfüllungskosten liegen im Bereich von sieben Euro je Vorgang in Österreich (6,80 Euro) und Frankreich (7,12 Euro) bis hin zu über zehn Euro in Italien und Deutschland (10,28 Euro).
Aus unseren Untersuchungen ergeben sich folgende Anregungen zur Verringerung des bürokratischen Aufwands:
- die Einführung einer Europäischen Sozialversicherungskarte als Nachweis für die nationale Mitgliedschaft in einer Sozialversicherung – dadurch müssten nur noch in wenigen Fällen A1-Bescheinigungen ausgestellt werde
- die Zusammenführung der Prozesse für A1-Bescheinigung und Entsenderichtlinie
- die Bearbeitung über ein EU-weites Portal: Damit bekämen Unternehmen eine einzige Anlaufstelle für die Entsendung von Beschäftigten ins EU-Ausland
- EU-Länder (insb. Deutschland) sollten Online-Portale einrichten, um eine benutzerfreundliche Beantragung zu ermöglichen
- eine Vereinfachung der Anforderungen etwa für kurze Aufenthalte (weniger als fünf Tage), in Grenzregionen oder für Arbeit im Home-Office
Links und Downloads
Mehr Informationen zur Bewertung der Ergebnisse finden Sie auf den Seiten der Stiftung Familienunternehmen
Hier lesen Sie Band 1 (PDF, auf Englisch)
Projektteam: Sarah Anders, Paul Braunsdorf, Pia Czarnetzki, Jan Felix Czichon, Henner Kropp, Lorenz Löffler, Michael Schaaf, Jan Tiessen
Stand: 10.1.2023