Kommunale Kosten
durch Reform des Niedersächsischen
Behindertengleichstellungsgesetzes 

 

Auftraggeber

Niedersächsisches Ministerium für Soziales, Arbeit, Gesundheit und Gleichstellung

Jahr

2024

Partner

Prof. Dr. Thorsten Ingo Schmidt (Universität Potsdam)


Das Niedersächsische Behindertengleichstellungsgesetz (NBGG) wurde 2021 reformiert. Dadurch erhielten die Kommunen neue Aufgaben zur Verwirklichung der gleichberechtigten Teilhabe von Menschen mit Behinderungen. Seither herrscht Uneinigkeit zwischen dem Land Niedersachsen und den kommunalen Spitzenverbänden über die Frage, ob und inwieweit die neu übertragenen Aufgaben mit einer finanziellen Mehrbelastung der Kommunen einhergehen, für die das Land einen Ausgleich zu leisten hat. 

Das Niedersächsische Ministerium für Soziales, Arbeit, Gesundheit und Gleichstellung hat Prognos in Kooperation mit Prof. Dr. Thorsten Ingo Schmidt (Universität Potsdam) damit beauftragt, ein unabhängiges Gutachten zu erstellen und damit eine faktenbasierte Entscheidungsgrundlage für beide Seiten zu schaffen.

Ziel des Gutachtens war es, die zentralen kostenwirksamen Effekte der letzten Änderung des NBGG für die Kommunen zu identifizieren und die tatsächlichen Kosten bei der Umsetzung der Reform für die Kommunen in Niedersachsen zu schätzen.

Neue Aufgaben der Kommunen

Kern der Uneinigkeit zwischen dem Land Niedersachsen und den kommunalen Spitzenverbänden ist das sogenannte Konnexitätsprinzip: Der Grundsatz im Verfassungsrecht besagt, dass diejenige Instanz, die über eine Aufgabe entscheidet, auch für deren Finanzierung zuständig ist und Ausgleichszahlungen zu leisten hat, sofern eine gewisse Schwelle überschritten wird.

Nach rechtlicher Prüfung wurde zunächst deutlich, dass folgende Teile der Gesetzesänderung eine direkte Aufgabenübertragung vom Land an die Kommunen bedeuten: 

  • die Pflicht von Behörden zur barrierefreien Kommunikation mit Menschen mit Behinderungen  
  • Teilaspekte des barrierefreien Bauens 
  • die neue Pflicht der Landkreise und kreisfreien Städte, Inklusionskonferenzen durchzuführen und Inklusionsberichte zu erstellen 

Nur für diese Teilregelungen könnte das Land nach derzeitiger Rechtslage mit Sicherheit zu Ausgleichszahlungen verpflichtet werden.

Große Unsicherheit über Kosten für Kommunen 

Die empirischen Erhebungen zeigten, dass die Kommunen z. T. erhebliche Schwierigkeiten hatten, verlässliche Angaben zu den Folgekosten der NBGG-Änderungen zu machen. Gründe sind u. a. die vielfach eher kleinteiligen Veränderungen im Gesetz, dessen Umsetzung als Querschnittsaufgabe sowie die nicht systematische Dokumentation der Aufwände, sofern diese überhaupt entstehen. Auch scheint die Bekanntheit der Neuregelungen bisher eher gering zu sein. 

Unter Berücksichtigung der wenigen vorliegenden Informationen identifiziert das Gutachten Gesamtkosten der Reform für alle Kommunen Niedersachsens von schätzungsweise rund 845.000 Euro pro Jahr. Allerdings ist die Belastbarkeit der Ergebnisse aufgrund der dünnen Datengrundlage gering. 

Werden nur die Regelungsbereiche betrachtet, die gesichert konnexitätsrelevant sind, ist von einer Gesamtbelastung der Kommunen von mindestens 275.000 Euro auszugehen. Die Kosten für bestimmte Teilbereiche, die ebenfalls unter das Konnexitätsprinzip fallen, können nicht konkret beziffert werden. 

Das Land Niedersachsen und die kommunalen Spitzenverbände haben sich auf eine Bagatellgrenze von 0,25 Euro je Einwohnerin und Einwohner für Ausgleichszahlungen geeinigt. Gemessen an diesem Wert kommt das Gutachten zum Schluss, dass die Gesamtbelastung für die Kommunen derzeit klar darunter liegt. Insofern besteht auf der Grundlage der vorliegenden Zahlen derzeit kein Anspruch der Kommunen auf einen finanziellen Ausgleich durch das Land Niedersachsen.  

Unsere Vorgehensweise

Prognos analysierte zunächst alle relevanten Dokumente. Danach führten wir Fachgespräche mit den verschiedenen Stakeholdern durch, um eine Liste mit den potenziell kostenwirksamen Auswirkungen der Gesetzesänderung in den Kommunen zu erstellen. Daran schloss sich eine Online-Befragung einer Stichprobe von niedersächsischen Kommunen an, deren Ergebnisse hochgerechnet wurden. Auf dieser Grundlage wurde dann eine qualifizierte Kostenschätzung abgegeben.

Bei der rechtswissenschaftlichen Bewertung wurde das Prognos-Projektteam von Prof. Dr. Thorsten Ingo Schmidt von der Universität Potsdam unterstützt.

Außerdem fanden regelmäßige Treffen mit dem Lenkungsausschuss zur Evaluation statt, in dem das Land Niedersachsen, die kommunalen Spitzenverbände, die Landesbeauftragte für Menschen mit Behinderungen sowie ein Mitglied des Landesbeirats für Menschen mit Behinderungen vertreten waren.

Links und Downloads

Zur Studie (PDF)

Mehr Informationen auf der Webseite des Ministeriums

Projektteam: Jan-Felix Czichon, Patrick Frankenbach, Rahel Reemtsma, Jan Tiessen

Stand: 28.10.2024
 

Haben Sie Fragen?

Ihr Kontakt bei Prognos

Jan Tiessen

Direktor, Bereichsleitung Managementberatung

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Patrick Frankenbach

Projektleiter

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