alle Projekte

Lieferausfall russischen Gases – Folgen für die deutsche Industrie

Auftraggeber

vbw – Vereinigung der Bayerischen Wirtschaft e. V.

Jahr

2022


Fragestellung und Ziel

Die deutsche Erdgasversorgung ist mit einer Importquote von 89 Prozent nahezu komplett von ausländischen Lieferungen abhängig. Im Jahr 2021 kamen die Lieferungen vornehmlich aus Russland, gefolgt von Norwegen, den Niederlanden und weiteren Lieferländern.

Für die vbw – Vereinigung der Bayerischen Wirtschaft e. V. hat unser Team aus Volkswirtschafts- und Gasexpertinnen und -experten in einer Szenariorechnung untersucht:

  • Was passiert, wenn russische Gaslieferungen nach Deutschland ab dem 1. Juli 2022 ausbleiben?
  • Welche wirtschaftlichen Folgen hätte eine Lieferunterbrechung des russischen Gases für die deutsche Industrie?

Unsere Vorgehensweise & Methodik  

Unsere kompletten FAQ finden Sie hier

Mit dem Szenario betrachten wir die Wirkung einer Lieferunterbrechung auf die Gasversorgung und auf die Wirtschaft in einem umfassenden Sinn. Das Vorgehen des Projektteams umfasst hierbei zwei Schritte:

  1. Energiewirtschaftliche Analyse

    In einem ersten Schritt wird eine energiewirtschaftliche Analyse durchgeführt. Dabei wird zunächst die Herkunftsseite analysiert und ermittelt, wie groß die Versorgungslücke sein könnte, wenn russische Gaslieferungen ab dem 1. Juli 2022 ausbleiben. Im Anschluss wird der Gasverbrauch nach gasintensiven Produktionsprozessen und Branchen differenziert dargestellt und die Einspar- bzw. Substitutionsmöglichkeiten der wichtigsten Produktionsprozesse aufgezeigt. Auf dieser Grundlage lässt sich die Gasbilanz für das Jahr 2022 für den Fall einer Lieferunterbrechung aufstellen.

  2. Betrachtung direkter sowie vor- und nachgelagerter Effekte

    In einem zweiten Schritt wird die volkswirtschaftliche Seite betrachtet, insbesondere die Wertschöpfungs- und Beschäftigungseffekte in Deutschland. Dabei werden sowohl die Auswirkungen bei den von einer Lieferunterbrechung direkt betroffenen Branchen untersucht als auch die Wirkungen in vor- und nachgelagerten Branchen abgeschätzt.

Besonderheiten der Studie

  • monatliche Auswertung der verfügbaren Gasmengen und des Bedarfs
  • Berücksichtigung des aktuellen Gasspeichergesetz (Mai 2022)
  • Unterscheidung nach geschützten und nicht-geschützten Kunden gemäß EnWG
  • Berücksichtigung von Einsparungen durch Verbraucher, unterschieden nach Branchen
  • Beachtung der Prozessebene, also z.B. Erzeugung von Grundstoffen, Glaserzeugung usw.
  • Berücksichtigung der wirtschaftlichen Verflechtungen durch Input-Output-Analyse

Die Studie spezifiziert somit erstmals in einem hohen Detaillierungsgrad die konkreten Folgen eines Gaslieferstopps und ergänzt erste frühere Berechnungen, in denen nicht nach Verbrauchsgruppen und Prozessen unterschieden wurde.

Zentrale Annahmen

Das Szenario wurde möglichst konkret ausgestaltet (z. B. Wahl eines konkreten Datums als Start des Lieferstopps), um die Wirkungen quantitativ abschätzen zu können. Alle Annahmen sind transparent gemacht.
Viele der getroffenen Annahmen (z. B.  90 %tige Speicherbefüllung bis 01.11.2022 trotz ausbleibender russischer Lieferungen; verfügbare Mengen von LNG) könnten anders gesetzt werden. Weitere Szenarien sind deshalb möglich und sinnvoll.   

Kernergebnisse

Wenn die russischen Gaslieferungen ab 1. Juli 2022 ausbleiben, muss die deutsche Gasversorgung mit den Lieferungen über westliche Grenzübergangspunkte und aus Speichern auskommen. Sollen gleichzeitig die Speicher gemäß Gasspeichergesetz weiter befüllt werden, dürfte das Gasangebot bereits im Juli nicht mehr ausreichen, um den Bedarf aller Kunden zu decken.

Prioritär werden dann die geschützten Kunden gemäß Energiewirtschaftsgesetz (unter anderem private Haushalte, soziale Dienste, Fernwärmeanlagen) versorgt. Unter den Annahmen dieser Studie kann der Bedarf geschützter Kunden in der zweiten Jahreshälfte 2022 zu 93 Prozent gedeckt werden. Die Fehlmenge dürfte mit Maßnahmen seitens des Bundeslastverteilers und der Kunden selbst zu decken sein.

Effekte bei den nicht geschützten Kunden

Ein  Lieferausfall ab 1. Juli 2022 führt dazu, dass im Mittel über die Monate Juli bis Dezember nur rund 37 Prozent der Nachfrage der nicht geschützten Kunden gedeckt werden kann. Dies führt in den direkt betroffenen Branchen zu einem Wertschöpfungsverlust von 3,2 Prozent der gesamtwirtschaftlichen Wertschöpfung im betrachteten Halbjahr. Besonders stark trifft ein Lieferausfall die Branchen Glas/Glaswaren und Roheisen/Stahl. Hier geht die Wertschöpfung um fast 50 Prozent zurück.

Garfik: Stopp der Lieferung von Erdgas aus Russland

Effekte in weiteren Branchen

Die Lieferausfälle strahlen in die gesamte Volkswirtschaft aus. Die vor- und nachgelagerten Effekte fallen mit einem Minus von insgesamt 9,4 Prozent der gesamtwirtschaftlichen Wertschöpfung um den Faktor drei höher aus als die direkten Effekte. Relativ zu den direkten Effekten fallen die indirekten Effekte somit ähnlich hoch aus wie in anderen Studien.

Insgesamt belaufen sich in unserem Szenario die negativen Effekte auf 12,7 Prozent der deutschen Wirtschaftsleistung in den betrachteten sechs Monaten.

Links und Downloads

Auf der Website der vbw finden Sie:

Studie (PDF)

Weitere Infos

Pressemitteilung

Außerdem:

Häufig gestellte Fragen zur Studie FAQ (PDF)
 

Presseanfragen zur Studie bitten wir an die vbw zu richten:

Mail: presse@ibw-bayern.de
Tel.: (0) 89-551 78-371


Projektteam: Markus Hoch, Jens Hobohm, Dr. Michael Böhmer, Dr. Alex Piegsa, Dr. Fabian Muralter, Sebastian Lübbers, Jan Limbers, Dr. Andreas Sachs, Philipp Kreuzer

 

Stand: 28. Juni 2022

Neuigkeiten aus dem Projekt

Gasbilanz: Niedrige Einsparungen erhöhen das Risiko geringer Gasspeicherstände

2023
| Aus dem Projekt

Der hohe Füllstand der Gasspeicher sorgt aktuell für Entspannung, jedoch könnten die geringen Einsparungen zu Lasten der Speicherfüllstände im nächsten Winter gehen.

Gasbilanz: Einsparbemühungen müssen intensiviert werden

2023
| Aus dem Projekt

Wird weiterhin so wenig gespart wie im Januar und Februar, steigt das Risiko für eine Gasmangellage im kommenden Winter.

Gasbilanz: Es wird zu wenig gespart

2023
| Aus dem Projekt

Die deutschen Gasspeicher bleiben zwar weiterhin gut gefüllt, doch wir konnten in unserem vbw-Monitoring keine verhaltensbedingten Einsparungen mehr feststellen.

Milde Witterung im Winter sorgt für Entspannung

2023
| Aus dem Projekt

Deutschland ist bislang mit relativ wenig Gas durch den Winter gekommen. Um weiterhin eine Gasmangellage zu verhindern, muss trotzdem gespart werden.

Die Gaslücke wird kleiner, aber keine Entwarnung

2022
| Aus dem Projekt

Die Reduktion der Gasnachfrage ist der entscheidende Hebel, um eine Gasmangellage im kommenden Winter 2023/24 abzuwenden.

Gaslücke wird kleiner, Preise bleiben hoch

2022
| Aus dem Projekt

Die Gasspeicher sind gefüllt, die Gaslücke wird wahrscheinlich deutlich kleiner als befürchtet. Allerdings sind die hohen Gaspreise für manche Unternehmen nahezu unbezahlbar geworden.

Haben Sie Fragen?

Ihr Kontakt bei Prognos

Dr. Michael Böhmer

Chefvolkswirt, Leitung Corporate Services

Profil ansehen

Jens Hobohm

Partner, Direktor

Profil ansehen

Markus Hoch

Senior Projektleiter

Profil ansehen

Mehr Studien & Projekte zu diesem Thema

More studies & projects on this topic

Branchenmonitoring der Kultur- und Kreativwirtschaft

laufend
| Projekt

Die Kultur- und Kreativwirtschaftsbranche wird in einem regelmäßigen Monitoring analysiert. Die Bundesregierung hat für das Jahr 2024 erstmalig Prognos mit diesem Branchenbericht beauftragt.

Zukunftsfeste Strategien für Europa

2024
| Projekt

Deutschland und Europa suchen ihren Platz in der neuen Weltordnung. Prognos hat für die vbw vier außenwirtschaftliche Strategien unter die Lupe genommen.

Fünf Baustellen: So bleibt Europa in Zukunft wettbewerbsfähig

2024
| Expertise

Was muss geschehen, damit Europa im globalen Wettbewerb bestehen kann? Das haben wir im Rahmen der Veranstaltung „12 Minutes Europe – Meeting Global Challenges“ der Wirtschaftskammer Österreich analysiert.

Der unsichtbare Wert von Sorgearbeit

2024
| Expertise

72 Milliarden Stunden: So viel unbezahlte Sorgearbeit leisten Frauen in Deutschland jährlich. In einem neuen Paper zeigen wir, welchen Wert unbezahlte Sorgearbeit hat und wie ungleich sie zwischen Frauen und Männern verteilt ist.

Transformation der Fahrzeugindustrie im Raum Hannover-Hildesheim

2024
| Projekt

Die Fahrzeugindustrie steht vor einem tiefgreifenden Wandel. Als Basis für ein zukunftsfähiges Profil analysierte Prognos die Transformationspotenziale der Branche in der Region.

Innovationsindex Deutschland 2023

2024
| Projekt

Für das Vodafone Institut für Gesellschaft und Kommunikation erstellte Prognos erneut den Innovationsindex Deutschland. Dieser beziffert, wie sich der Ausbau der digitalen Infrastruktur auf die Innovationsstärke des Landes auswirkt.

Inflation: Michael Böhmer im Interview

2024
| In eigener Sache

Wie steht es um die Inflation in Deutschland? In der Nachrichtensendung BR24 ordnet unser Chefvolkswirt Michael Böhmer die Entwicklung der Inflationsrate ein. 

Regionale Kaufkraft von Renten

2023
| Projekt

Wo in Deutschland ist das Leben im Alter besonders günstig und wo ist es überdurchschnittlich teuer geworden? Das untersuchte Prognos für den Gesamtverband der Deutschen Versicherungswirtschaft.

Wertschöpfung der deutschen Pharmaexporte

2023
| Projekt

Deutsche Pharmaexporte sind im Vergleich zu den übrigen Exportbranchen überdurchschnittlich innovationsstark und wertschöpfungsintensiv. Im weltweiten Forschungswettbewerb fällt die Branche jedoch zurück. Das zeigt eine neue Studie im Auftrag von Roche.

Neue Absatzmärkte für den Exportsektor

2023
| Projekt

Das Auslandsgeschäft ist schwieriger geworden. Doch es gibt nach wie vor dynamisch wachsende Absatzmärkte, die Deutschland bisher kaum erschlossen hat.

Über Prognos

Wir geben Orientierung.

Prognos ist eines der ältesten Wirtschaftsforschungsunternehmen Europas. An der Universität Basel gegründet, forschen Prognos-Expertinnen und -Experten seit 1959 für verschiedenste Auftraggeber aus dem öffentlichen und privaten Sektor – politisch unabhängig, wissenschaftlich fundiert.

Mehr erfahren