In der Vergangenheit hat die deutsche Wirtschaft stark von der Globalisierung profitiert. In vielen Industriebranchen Deutschlands entfällt über die Hälfte des Umsatzes auf das Ausland, die Mehrheit der Arbeitsplätze ist vom Exportgeschäft abhängig. Doch die Hochphase der Globalisierung ist vorbei. In einer Studie im Auftrag der KfW entwickelte Prognos drei Szenarien, welche die Spannbreite der künftigen Globalisierungsdynamik abbilden und Vorschläge für neue Wachstumsstrategien für die deutschen Unternehmen unterbreiten.
Stand heute: Deutschlands Wirtschaft ist stark globalisiert
Deutschland hat die mit der Globalisierung verbundenen Chancen in der Vergangenheit intensiv genutzt. Die Unternehmen entwickelten stark nachgefragte, auf dem Weltmarkt wettbewerbsfähige Produkte. Dieser Erfolg lässt sich auch beziffern: Das reale Bruttoinlandsprodukt je EinwohnerIn lag globalisierungsbedingt zwischen 1990 und 2018 im Schnitt fast 1.400 Euro höher, als wenn die Globalisierung auf dem Niveau von 1990 stagniert hätte. Die deutsche Volkswirtschaft gehört somit zu den größten Gewinnern der Globalisierung weltweit.
Die Hochphase der Globalisierung ist vorbei
Die Phase der dynamischen Globalisierung der Weltwirtschaft ist jedoch auf absehbare Zeit vorbei. Unsicherheiten durch geopolitische Konflikte, häufiger auftretende Handelskonflikte oder Ereignisse wie der Brexit dämpfen die Entwicklung des weltweiten Handels. 2020 hat die Covid-19-Pandemie die globalen Liefer- und Wertschöpfungsketten abrupt und massiv gestört. Die Folgen dürften auch in den kommenden Jahren spürbar bleiben.
Drei Zukunftsszenarien mit unterschiedlichen Wachstumsprognosen
Prognos entwickelte drei Szenarien möglicher Entwicklungen der Globalisierung bis 2030, um deren Wirkung auf die Wirtschaft abschätzen zu können. Im Referenzszenario, das als das wahrscheinlichste erscheint, wird angenommen, dass die Globalisierung stagniert. Im Szenario Deglobalisierung wird die in den frühen 2000er-Jahren erfolgte Globalisierung teilweise rückabgewickelt. Im Szenario Globalisierungsschub hingegen nimmt die Globalisierung in den nächsten Jahren wieder Fahrt auf.
Um die ökonomischen Auswirkungen der unterschiedlichen Globalisierungsdynamiken messbar zu machen, wurden die drei Szenarien in das makroökonomische Prognosemodell VIEW überführt und operationalisiert. Im Deglobalisierungsszenario liegt die durchschnittliche jährliche Wachstumsrate zwischen 2018 und 2030 um 0,2 Prozentpunkte niedriger als im Referenzszenario. Eine höhere Globalisierungsdynamik – wie im dritten Szenario unterstellt – würde das deutsche Wirtschaftswachstum hingegen im Schnitt jährlich um 0,2 Prozentpunkte nach oben treiben.
Die deutsche Wirtschaft muss ihr bisheriges Erfolgsmodell anpassen
Länder und Unternehmen weltweit müssen sich in den kommenden Jahren wohl auf eine Weltwirtschaft ohne nennenswerte Globalisierungsdynamik einstellen. Das gilt insbesondere für Deutschland mit seiner stark exportorientierten Wirtschaft. Das Auslandsgeschäft dürfte in den kommenden Jahren schwieriger sein als in der Vergangenheit. Die deutschen Unternehmen können nur dann wachsen, wenn sie neue Wachstumsstrategien finden.
Anpassung des deutschen Erfolgsmodells an die künftige Entwicklung
Zur Erschließung zukünftiger Wachstumspotenziale könnte sich für viele Unternehmen ein verstärkter Blick ins Inland lohnen. So sorgt die Verknappung des Arbeitskräfteangebots in Folge des demografischen Wandels in den kommenden Jahren zu einem Anstieg der Reallöhne und folglich zu höheren privaten Konsumausgaben. Der demografische Wandel wird insbesondere im Tourismus und Gesundheitssektor sowie bei Produkten für die ältere Generation die Nachfrage erhöhen. Neue digitale Produkte und Dienstleistungen sowie umweltverträgliche Produkte versprechen ein weiteres Wachstumspotenzial. Auch im Geschäftskundenbereich wird die Digitalisierung ein Wachstumsmotor sein.
„In einigen Marktsegmenten bietet aber auch der Export nach wie vor Potenziale“, so Prognos-Projektleiter Johann Weiß. „Auch hier gehört der digitale Wandel zu den wichtigsten Treibern der künftigen Importnachfrage. Hybride Geschäftsmodelle und Produkte, die klassische Industriegüter mit digitalen Leistungen verbinden, dürften sich besonders dynamisch entwickeln.“
Auch in Entwicklungs- und Schwellenländern, die bisher nicht im Fokus des deutschen Exporthandels standen, könnte sich die Importnachfrage erhöhen. Zwar sind Geschäfte in diesen Ländern schwieriger als auf den traditionellen deutschen Auslandsmärkten. Dennoch kann auch dort ein erfolgreicher Einstieg ins Geschäft gelingen. Schließlich galten in der Vergangenheit Auslandsmärkte wie China oder Mittelosteuropa ebenfalls als schwierige Absatzregionen, die schließlich erfolgreich erschlossen wurden.
Zur Studie (Website KfW)
Autorinnen und Autoren: Jakob Ambros, Dr. Michael Böhmer, Dr. Georg Klose, Philipp Kreuzer, Jan Limbers, Dr. Andreas Sachs, Dr. Jan Trenczek, Heidrun Weinelt, Johann Weiß, Eva Willer
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Johann Weiß
Senior Projektleiter
Dr. Michael Böhmer
Chefvolkswirt | Leiter Corporate Solutions