Die Digitalisierung wird die Versicherungswirtschaft und ihre Wertschöpfungskette grundlegend umgestalten. Ausgangspunkt der Veränderungen ist der Konsument, der verstärkt digitale Angebote und Lösungsmodelle wünscht und nachfragt.
Zu diesem Ergebnis kommt eine Untersuchung der Prognos AG für die Vereinigung der Bayerischen Wirtschaft (vbw), die als Teil der Gesamtstudie „Neue Wertschöpfung durch Digitalisierung“ veröffentlicht wurde.
Für die Versicherungswirtschaft besteht die zentrale Chance darin, dass die technischen Möglichkeiten zu einer adäquateren Bepreisung der Risiken führen. Insbesondere können sogenannte Informationsasymmetrien abgebaut werden. Bisher kann der Versicherte sein Risiko (z. B. Gesundheitszustand, Fahrverhalten) besser einschätzen als das Versicherungsunternehmen.
Das könnte sich bald verändern: Mithilfe von Big-Data-Technologien kann das Risiko des einzelnen Kunden ausgewertet werden – etwa mithilfe von Bewegungsprofilen bei Krankenversicherungen oder Daten zum Fahrverhalten bei Kfz-Versicherungen. Auf Basis dieser Informationen können Versicherungen die Höhe von Tarifen passgenau festlegen. Gesunde Menschen oder vorsichtige Autofahrer, könnten dadurch von günstigeren Tarifen profitieren.
Für Kunden, die ein überdurchschnittlich hohes Risiko haben zu erkranken oder sich zu verletzten, besteht hingegen die Möglichkeit, dass ihre Prämien sehr stark steigen – und in manchen Fällen so hoch ausfallen, dass sie sich keine Versicherung mehr leisten können. Hier muss der Gesetzgeber gegebenenfalls handeln, wenn der Versicherungsschutz gesellschaftlich erwünscht ist, um Versicherte, Geschädigte und den Sozialstaat zu schützen.
Die Digitalisierung kann und sollte laut den Prognos-Experten zudem für einen intensiveren und direkteren Kontakt zum Kunden genutzt werden. Die Studie identifiziert die Neugestaltung der Beziehungen zu den Versicherten als Kernaufgabe für klassische Versicherungsunternehmen. Dabei müssen sie sich auch potenziellen neuen Konkurrenten stellen. Insbesondere datenaffine Digitalunternehmen wie Google und Amazon und Vergleichsportale können das klassische Versicherungsgeschäft radikal wandeln.
Für die Versicherungsunternehmen stellen diese neuen Akteure auch eine Bedrohung dar, da sie vom aktuellen nationalen Rechtsrahmen in der Regel nicht erfasst werden. Die Digitalisierung erfordert somit politisch eine rasche Anpassung der regulatorischen Anforderungen, um einen fairen Wettbewerb zwischen etablierten Versicherern und den Neueinsteigern sowie der internationalen Konkurrenz zu gewährleisten.
Weiterhin wird der Vertrieb von Versicherungsprodukten an neue Kunden auf digitalen Wegen einfacher werden, was den Wettbewerb verschärfen könnte. Auch Niedrigpreissegmente wie sie aus anderen Branchen bekannt sind – etwa Billigflieger und Lebensmitteldiscounter – dürften sich auch in der Versicherungswirtschaft entwickeln.
Für die Versicherten bietet die digitalisierte Versicherungswelt somit in aller Regel Vorteile. Die Kosten und Versicherungsprämien sinken, der Wettbewerb um die Kunden und die Auswahl an passgenauen Lösungen nehmen zu. Voraussetzung ist allerdings, dass die Versicherten bereit sind, individuelle Daten mit den Anbietern zu teilen und damit zu „bezahlen“.
Autorinnen und Autoren:
Oliver Ehrentraut, Claudia Funke, Ante Pivac
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Dr. Oliver Ehrentraut
Leiter der volkswirtschaftlichen Abteilung, Partner, Direktor
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